Was ist Leben? Entsteht Leben aus toter Materie?

Definition des Lebens - alles andere als einfach

Es ist nicht einfach, eine allgemein gültige Definition des Lebens zu formulieren, die völlig zufriedenstellend ist. Die Enzyklopädie Wikipedia formuliert das so:

Leben ist der Zustand, den alle Lebewesen gemeinsam haben und der sie von unbelebter Materie unterscheidet: Sie sind von ihrer Umwelt abgegrenzte Stoffsysteme,
  • haben Stoff- und Energiewechsel und sind damit in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt,
  • organisieren und regulieren sich selbst (Homöostase),
  • pflanzen sich fort und sind damit auch zu Wachstum und Differenzierung fähig.
  • Ein System als solches, erklärte Pierre Teilhard de Chardin, ersteigt noch nicht die Stufe des Lebens, da auch unbelebte Zusammenschlüsse einzelner zu höheren Einheiten über mehrere Stufen hinweg vorkommen.
    Wie der bekannte Forscher George Church scharfsinnig feststellt, wäre ein Maultier oder ein Maulesel nach obiger Definition keine lebende Spezies, weil sie sich nicht fortpflanzen können. Sie müssen als Kreuzung von Eselstute und Pferdehengst bzw. Pferdestute und Eselhengst stets neu gezüchtet werden. In flüssigem Stickstoff tiefgefrorene Bakterien und Embryonen weisen keinen Energie- und Stoffwechsel auf, doch die Erfahrung zeigt, dass sie nach dem Auftauen alle Bedingungen einer lebenden Spezies erfüllen.
    Eine naturwissenschaftlich zutreffende Definition des Lebens ist somit alles andere als einfach. Packt man das Problem von der philosophischen Seite an, wird es auch nicht viel besser. Da gibt es den Mechanizismus, wonach Leben allein aus den gesetzmässigkeiten der Materie vollständig erklärt werden kann (Wikipedia). Dazu kommt der sogenannte Vitalismus: «Leben kommt nur den "organischen Erscheinungsformen" (dem Organischen) zu und unterscheidet sich qualitativ von "anorganischen Erscheinungsformen" (dem Anorganischen): Alles Lebendige zeichnet sich durch eine zielgerichtet formende Lebenskraft (vis vitalis) aus (Wikipedia).» Details kann man bei Aristoteles und Thomas von Aquin nachlesen. Mit einer vis vitalis oder einem Lebensprinzip, das Seele genannt wird, können viele Naturwissenschaftler nicht viel anfangen. Aber das Ziel der Synthetischen Biologie, einen lebenden Organismus von Grund auf zu synthetisieren, reizt sie ungemein, denn es wäre so etwas wie ein Beweis, dass es keine vis vitalis, kein Lebensprinzip, wie die Seele geben soll. Auch von daher gesehen ist das Fachgebiet Synthetische Biologie äusserst spannend. Vorläufig könnten sich die Vertreter eines Vitalismus gelassen zurücklehnen und abwarten, was die Naturwissenschaftler herausfinden - wären da nicht die gravierende Probleme der Biosicherheit, des Biohackings, der Biowaffen und des Bioterrorismus. Das geht ans Lebendige! Darüber mehr hier.

    Bisher existiert kein wissenschaflticher Beweis für die spontane Entstehung von Leben aus toter Materie

    In den gängigen Schulbüchern und angesehenen Lehrbüchern der Biologie und der Molekularen Biologie wird die Auffassung vertreten, das Leben auf der Erde habe sich spontan aus toter Materie entwickelt. So selbstverständlich, wie das dargestellt wird, ist das nicht. Bei einer nüchternen Betrachtung der wissenschaftlichen Publikationen, auf die oft verwiesen wird, muss man feststellen, dass bisher kein naturwissenschaftlicher Beweis für das spontane Entstehen eines lebenden Organismus erbracht worden ist. Vielmehr ist es so, dass trotz intensiver Erforschung der Evolution, die sich in Zeitschriften wie "Journal of Molecular Evolution" oder "Origines of Life and Evolution of Biospheres" niederschlagen, ein Nachweis im steng wissenschaftlichen Sinn nach wie vor aussteht. Wenn wir das wüssten, hätte es die Synthetische Biologie wesentlich einfacher. Wir müssten nur die richtigen chemischen Cocktails zusammenstellen sowie die Bedingungen für die verschiedenen Reaktionen optimieren, und schon hätten wir unser synthetisches Lebewesen. Aber es sind immer noch grundsätzliche Fragen offen, wie z.B. die spontane Entstehung des genetischen Codes. Diese Fragen sind gerade im Zusammenhang mit der Synthetischen Biologie auch von Interesse.

    2. Präbiotische Synthese lebenswichtiger Bausteine

    Unter einem Titel, der für alle 20 wichtigsten in der Natur vorkommenden Aminosäuren einen präbiotischen Syntheseweg verheisst, erklärte der berühmte Evolutionschemiker S.L. Miller zusammen mit A. Weber folgendes: Für ganze 11 dieser 20 Aminosäuren liege ein gesicherter präbiotischer Syntheseweg vor; für drei sei er ungesichert und für sechs Aminosäuren habe man noch keinen Weg gefunden. Ob es wissenschaftlich redlich ist, in späteren Artikeln einfach wieder auf den Titel zu verweisen, als ob für alle 20 Aminosäuren die präbiotische Entstehung geklärt sei, soll der Leser selber beurteilen.
    Seit den ersten präbiotischen Experimenten in den 50er Jahren ist reichlich viel Zeit verstrichen, ohne dass man entdeckt hätte, wie alle diese für jedes irdische Leben grundlegenden Bausteine für Proteine entstanden sind. Ungeklärt bleibt bis heute, weshalb die Natur ausgerechnet die L-Aminosäuren nahezu ausnahmslos bevorzugt, obwohl bei präbiotischen Experimenten stets ein 1:1 Gemisch von L- und D-Aminosäuren entsteht. Diese verhalten sich zu einander wie Bild und Spiegelbild. Unter präbiotischen Bedingungen ist eine Trennung eines solchen Gemisches undenkbar.

    D-Alanin L-Alanin

    Nimmt man beispielsweise ein Gemisch eines Alanin- und eines Valin-Racemates, wie es bei einer präbiotischen Synthese anfallen müsste, ergäbe das folgendes Reaktionsschema.

    Folglich enthalten allfällige Reaktionsprodukte ebenfalls eine Gemisch der L- und D-Formen. Aus zwei Aminosäuren, mit den insgesamt vier chiralen Varianten, ergeben sich also insgesamt 12 Verbindungen. Allerdings besteht kein Grund, für einen Abbruch der Reaktion genau an dieser Stelle, denn die Reaktionsprodukte können sowohl untereinander als auch mit den Ausgangsverbindungen weiterreagieren. Das Resultat ist ein wildes Gemisch, je länger die Pepidkette wird, umso unwahrscheinlicher wird es, dass wir eine aus lauter L-Formen bzw. D-Formen erhalten.
    Wenn in eine lange Kette von L-Aminosäuren nur eine R-Aminosäure eingebaut wird, ist keine Helix mehr möglich. Beteiligt sind an solchen Reaktionen ausserdem Substanzen, die reaktiver als die Aminosäuren sind und die Bildung langer Ketten abblocken. Für die präbiotische Synthese von Proteinen werden möglichst wasserarme Bedingungen verlangt, damit das chemische Gleichgewicht auf die Seite der Reaktionsprodukte verlagert wird. Andererseits benötigt das Leben Wasser, um existieren zu können - Bedingungen die kaum miteinander zu vereinbaren sind. Angesichts dieser Schwierigkeiten ist man auf die Idee gekommen, eine sogenannte RNA-Welt zu postulieren. Alledings wird dabei oft verschwiegen, dass selbst die Synthese einer kurzen RNA-Kette unter präbiotischen Bedingugnen extrem unwahrscheinlich ist. Um komplexere Bausteine des Lebens wie Ribonukleinsäure (RNA) zu erhalten, braucht es den Zucker D-Ribose, der wiederum eine von zwei spiegelbildlichen Formen darstellt. In der Ursuppe, das gab 1987 Robert Shapiro, ein Evolutionschemiker, ohne Umschweife zu, existierte D-Ribose vielleicht für kurze Zeitperioden, in tiefer Konzentration, als Teil einer komplexen Mischung aus X verschiedenen Zuckermolekülen, aber unter Bedingungen, die ungeeignet für die Synthese von Nukleotiden war. Auch für ein RNA-Molekül gilt, dass ein einziges eingebautes L-Ribose-Element die Helixform zerstören würde, ganz zu schweigen bei einer 1:1 Verteilung der D- und L-Formen im Molekül. Es erstaunt deshalb nicht, dass sich die Evolutionschemiker mit Ersatzverbindungen beschäftigen, den sogenannten Vorläufer-RNA, allerdings ohne darlegen zu können, wie die eigentliche RNA aus solchen Vorläuferkomponenten entstanden ist.

    3. Ziele der Synthetischen Biologie

    Bei der Synthetischen Biologie arbeiten verschiedenste Fachbereiche interdisziplinär zusammen. Es gelingt wohl kaum, alle publizierten Artikel zu überblicken. Dieses Forschungsgebiet erlebt einen enormen Aufschwung.Dabei sind die einen oder anderen Zwischenziele erreicht worden. Die folgenden Fernziele werden als mögliche Anwendungsbereiche genannt:

  • Bakterien, welche Kohlenwasserstoffe produzieren (Lösung für die schwindenden Erdölressourcen)
  • Entwicklung neuer Impfstoffe
  • Entwicklung neuer Pharmawirkstoffe
  • Reinigung von verseuchtem Wasser
  • Neue Nahrungsmittel
  • 4. Kommentar zur Science Publikation vom 20. Mai 2010: Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome

    Der Titel der Publikation im Magazin Science lautet: "Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome." Das trifft den Sachverhalt genau. Nicht das Bakterium wurde synthetiziert, sondern ein Genom. Dieses wurde mit einigen Änderungen und einigen "Wasserzeichen" versehen in das Bakterium "Mycoplasma mycoid" eingeschläust und übernahm darin die Aufgabe, welche das Genom in diesem Bakterium üblicherweise ausführt.
    In der Medienmitteilung, die am Publikationstag durch das J. Craig Venter Institute verbreitet wurde, wird ein anderer Titel verwendet: "First Self-Replicating, Synthetic Bacterial Cell Constructed by J. Craig Venter Institute Researchers." Erste sich selbst vermehrendes synthetische bakterielle Zelle konstruiert durch Forscher des J. Craig Venter Institute. Dieser Titel ist irreführend, denn er suggeriert, das Bakterium "Mycoplasma mycoid" sei komplett synthetisiert worden, was natürlich nicht stimmt. J. Craig Venter musste während der Medienkonferenz (siehe Video ab 31:53, unmisserverständlich erst auf die Frage bei 58:57) zugeben, dass es sich beim erzeugten Bakterium nicht einmal um eine neue Spezies, sondern um einen neuen Bakterienstamm handelt! Vier Jahre nach der Präsentation ist der irreführende Titel beim Aufruff der Homepage von www.jcvi.org zu finden.

    Interessante Wasserzeichen im synthetisch hergestellten Genom

    Die DNA des "Mycoplasma mycoid" wurde nicht exakt gemäss der in der Natur existierenden Vorlage synthetisiert, sondern sie wurde so verändert, dass sie sich visuell in der Petrischale vom original unterscheidet. Ausserdem haben die Forscher in bestimmte Stellen des genetischen Codes Zitate und Autorennamen untergebracht. Man könnte darüber reflektieren, weshalb genau diese Zitate eingebaut wurden. Das sei den Leserinnen und Lesern gern selber überlassen:

    "To live, to err, to fall, to triumph, to recreate life out of life." - James Joyce (irischer Schrifsteller, 1882-1941)
    "See things not as they are, but as they might be." - American Prometheus, Biographie über J. Robert Openheimer, Mitglied des Manhattan Projektes, dem Bau der ersten Atombombe (1904-1967)

    "What I cannot build, I cannot understand." - Richard Feynman, ebenfalls Mitglied des Manhattan Projektes (1918-1988) Im Wasserzeichen wurden ausserdem die Namen von 46 Autoren untergebracht. Die Auflösung dafür finden Sie auf der folgenden Webseite: Ken Shirriff's blog: Using Arc to decode Venter's secret DNA watermark.

    Kleiner Synthesefehler mit fataler Auswirkung

    Als das Team das Genom des "Mycoplasma mycoid" synthetisiert, trat ein kleiner Synthesefehler auf. Dieser hatte eine fatale Auswirkung, die es dem Lebewesen unmöglich machte, das Genom zu integrieren und damit weiterzuleben. Das Forschungsteam benötigte drei Monate, um diesen Fehler, ein einziges verlorenes Basenpaar, zu finden. Um darzustellen, welche Komplexität auf die Synthetische Biologie zukommt, wenn sie höhere Lebewesen als Grundlage nimmt, sind in der folgenden Tabelle diese Daten aufgrund der Anzahl Basenpaare des jeweiligen Genoms hochgerechnet. Die Zahlen setzen den technischen Stand von 2010 voraus:

    Lebewesen
    Genomgrösse
    Anzahl Basenpaare
    Anzahl zu bewältigende gravierende Synthesefehler
    Aufwand zur Behebung des Fehlers
    Mycoplasma mycoid [1]
    1'077'947
    1
    3 Monate
    Darmbakterium (Escherichia coli)
    4'600'000
    4
    1 Jahr
    Hefe (Saccharomyces cerevisiae)
    20'000'000
    18
    4.5 Jahre
    Taufliege (Drosophila melanogaster)
    200'000'000
    182
    45.5 Jahre
    Mensch
    3'270'000'000
    2973
    743 Jahre

    [1] Science 329, 2. Juli (2010) 52-56.

    Quelle für die Genomgrösse: http://de.wikipedia.org/wiki/Genom

    Allerdings wird man nicht behaupten dürfen, die Synthese eines menschlichen Genoms und dessen Überprüfung sei in Zukunft nicht möglich. Sie ist jetzt unmöglich. Die automatische Sequenzierung hat in den letzten Jahren extreme Fortschritte gemacht. Die dazu benötigten Supercomputer werden auch immer schneller. Um eine bessere Genauigkeit der Resultate zu erhalten müssten die Computer für die Analyse eines menschlichen Genoms mit aussagekräftigen Diagnosen etwa 1000 mal schneller sein. Hier einige Angaben von J. Craig Venter im April 2010, ergänzt mit aktuelleren Ergebnissen:

    Jahr
    Sequenzierte Basenpaare
    Dauer
    Firma
    Kosten für die Sequenzierung eines menschlichen Genoms
    1987
    4800
    1 Tag
    Applied Biosystems
    -
    1988-2001 3'300'000'000 13 Jahre National Human Genome Research Institute (NHGRI) 3'000'000'000 $
    2010
    25'000'000'000
    1 Tag
    Illumina (San Diego, US)
    ca. 6'000 $
    2010
    100'000'000'000
    1 Tag
    Life Technologies (Carlsbad, CA)
    ca. 6'000 $
    2012 3'3000'000'000 1 Tag Life Technologies 1'000 $
    2013 20'000 Gene     600 EUR

    Quelle: Nature 464 (2010) 676-677.

    Jahr
    Synthetisierte Basenpaare
    Dauer
    Firma
    Kosten für die Synthetisierung
    2010
    20-25'000
    1 bis 4 Wochen
    Blue Heron Biotechnology
    ?
    2010
    1'201-1'800
    1 Woche
    GeneArt

    $ 0.39 / Basenpaar
    468$ für 1'800 Basenpaare
    mindestens 420'400 $ für Mycoplasma mycoid

    5. Der Origin of Life Preis

    Seit dem 2. Januar 2001 können Forscher sich für einen sogenannten Origin-of-Life-Price (http://www.us.net/life/) bewerben. Vorausgesetzt wird die Präsentation eines sehr plausiblen Mechanismus für die spontane Bildung von genetischer Information in der Natur zur Entstehung des Lebens. Der Preis von einer Million $ wird in jährlichen Raten von 50'000 $ ausbezahlt, sofern die empirischen biochemischen und thermodynamischen Konzepte erklärt und in einer angesehenen wissenschaftlichen Fachzeitschrift publiziert werden. Allein die Tatsache, dass ein solcher Preis überhaupt ausgeschrieben wurde, spricht gegen das selbstsichere Auftreten gewisser Verfechter der Evolutionstheorie. Die Webseite des Origin-of-Life-Price hat immer noch das Design aus dem Jahr 2001, doch wird sie aktualisiert und weist auf wichtige Ergebnisse in der Evolutionsforschung hin.

    6. Aussagen von Wissenschaftlern, die künstliches Leben herstellen möchten

    "The transition to life involves inheritable information taking control of the thermody- namic self-assembly and energy transduction processes of glassy systems, and our current understanding of this process is only sketchy. Knowledge of the general properties of complex systems is certainly helpful for understanding this transition, but is it not sufficient. The devil is in the details." (Rasmussen S., Beau M.A., Chen L., Deamer D.W., Krakauer D.C., Packard N.H., Stadler P.F., Living and Nonliving Mattter. Science 305 (2004) 41-42.

    "Still, there are other things that scientists don't know. They don't know how life arose, where it came from, or where it's headed. They don't even know whether, when, or where any of the artificial cell projects will come to fruition and present us with the world's first synthetic living entity." Regis Ed, What Is Life?: Investigating the Nature of Life in the Age of Synthetic Biology. New York 2008.

    Literatur

    Gibson D.G., Glass J.I., Lartigue C., Noskov V.N., Chuang R.Y., Algire M.A., Benders G.A., Montague M.G., Ma L., Moodie M.M., Merryman C., Vashee S., Krishnakumar R., Assad-Garcia N., Andrews-Pfannkoch C., Denisova E.A., Young L., Qi Z.Q., Segall-Shapiro T.H., Calvey C.H., Parmar P.P., Hutchison C.A. 3rd, Smith H.O., Venter J.C., Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome. Science 329, 2. Juli (2010) 52-56. Supporting Online Material.

    Church George, Regis Ed, Regenesis: How Synthetic Biology Will Reinvent Nature and Ourselves. New York 2012.

    Aktualisiert: 03.12.2013